Die Abschaffung der Hierarchie

Ein Spark von Dr. Claudia Kleimann-Balke

Es ist nicht immer einfach mit mir! Es reicht meist ein kleiner Anlass und schon krame ich – vielleicht gerade nicht unbedingt benötigtes – Wissen, jahrhundertealte Zitate und historische Fakten aus den hintersten Regionen meiner Gehirnwindungen ... und lasse meine Mitmenschen daran teilhaben.

Wir lesen es in Blogbeiträgen und in Fachzeitschriften, erleben es bei Konferenzen, in Diskussion und natürlich bei unseren Kunden – in der Arbeitswelt geht das „Schreckgespenst der alten Herren“ um: Die Abschaffung der Hierarchie! Mitarbeitende wollen mehr Verantwortung und Selbstorganisation, sie wollen kreativ sein und sich vor allem nicht mehr „von oben herab“ führen lassen.

Dieser Abbau klassischer Strukturen in Unternehmen führt zu einem Umbruch in der Arbeitswelt. Ausgelöst durch – na klar: Digitalisierung und Co. Denn mit starren Hierarchien, langen Abstimmungs- und Berichtswegen, Mikromanagement und zentraler Steuerung sind Tempo, Komplexität und ständige Veränderung in Zukunft gar nicht mehr zu bewältigen. Viele Unternehmen wissen heute nicht, wie ihr Business morgen aussieht, ob es überhaupt noch funktioniert und welche neuen Anforderungen auf sie zukommen. Neue Produkte und Leistungen werden in agilen Teams erdacht, in Sprints ausprobiert und häufig genug – entgegen der guten alten Manier – bereits als Prototypen an den Kunden gebracht, um sie zusammen mit diesen weiterzuentwickeln. Dafür sind neue, agile Formen der Arbeit mit flachen Hierarchien gefragt – sie ermöglichen direkten Austausch, hohe Reaktionsgeschwindigkeit und damit auch schnelle Entscheidungen.

Die Zahl derjenigen, die ihre Hierarchien abflachen oder Übergänge aufweichen, steigt deutlich an. Man arbeitet auf Augenhöhe – das bedeutet jedoch nicht, dass ein Unternehmen in völliger Führungslosigkeit auf das Chaos zusteuert. Ganz im Gegenteil: Wer agil arbeiten will, braucht eine neue, angepasste Art der Führung: geprägt von ehrlicher und regelmäßiger Kommunikation und einer offenen Feedback- und Fehlerkultur. Ein übergeordnetes Ziel und ein gemeinsames Wertegerüst lösen Führung durch Autorität und Monolog-Kommunikation ab und bieten Orientierung für Entscheidungen im Alltag. Einige Unternehmen wagen sogar das Abenteuer völliger Hierarchielosigkeit und richten sich nur daran aus.  Vor allem Start-ups setzen diese Art der Zusammenarbeit gern ein.

Nach Jahrhunderten in festgefahrenen Strukturen und klar definierten Hierarchien ist das eine anspruchsvolle Aufgabe – und teilweise nur mit Schwierigkeiten zu lösen. Wenn man überlegt, wie lange wir Menschen bereits in hierarchischen Strukturen gefangen sind, wundert mich das nicht, denn sie steckt uns wortwörtlich in den Genen.

Schon bei den prähistorischen Hominiden gab es, wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Folge, Arbeitsteilung und eine Hierarchie. Sie basierte auf körperlicher Stärke und geistigen Fähigkeiten. Die Natur selbst hatte unseren Vorfahren diese Hierarchie auferlegt – schließlich muss jemand darüber entscheiden, wann gejagt und wie die Beute aufgeteilt wird. Unsere engsten Verwandten, die Menschenaffen, leben bis heute nach einem ganz ähnlichen Prinzip: Der Silberrücken ist der unangefochtene Chef im Ring, er hat das Sagen und ist zugleich für die Sicherheit der Gruppe verantwortlich.

Etwas jünger, aber auch schon in die Jahre gekommen, ist der Begriff „Hierarchie“ selbst. Er stammt aus dem Altgriechischen und beschrieb ursprünglich Rangfolgen innerhalb der Kirche, zum Beispiel die der Priesterschaft oder die heilige Ordnung der Engel. Übrigens auch ein sehr spannendes Thema! Oder wussten Sie, dass es, glaubt man der tradierten, christlichen Vorstellung, neun Chöre der Engel gibt? Jeder Chor erfüllt bestimmte Aufgabe, vom einfachen Erzengel bis zu den Seraphim, die mit sechs Flügeln ausgestattet den Thron Gottes umschweben.

Im Laufe der Zeit wurde die sakrale Verwendung zur profanen Charakterisierung einer vertikal geschichteten Ordnung. So verstehen wir den Begriff bis heute und das Gabler Wirtschaftslexikon definiert: „Hierarchie. System der Über-/Unterordnung zwischen organisatorischen Einheiten“ Diese Organisationen zeichnen sich durch zentralisierte und von oben verlaufende Befehlsstruktur, Kontrolle und Kommunikation aus ... und ist aktuell dabei aufzubrechen.

Für uns – Hominiden in Kostüm und Bluse respektive Anzug und Schlipps – bedeutet das ein gutes Stück Arbeit. Und das am besten mit viel Engagement und Freude bei der Umsetzung.